Jeden Tag Kopfschmerzen – wenn die Warnfunktion verloren geht


Normalerweise aktiviert ein Schmerzreiz, zum Beispiel eine Entzündung, die schmerzleitenden Nervenfasern. Ist eine gewisse Reizschwelle überschritten – die bei jedem Menschen individuell ist – werden diese Signale an das Gehirn weitergeleitet und der Schmerz wird wahrgenommen. Dauert dieser zu lange an oder kehrt er immer wieder, wird das schmerzverarbeitende System im Körper so verändert, dass es selbst Schmerzsignale auslöst.

So auch bei Patienten, die ständig Kopfschmerzen haben: Beispielsweise sind die Nervenzellen bei mangelhaft behandelten akuten Schmerzen immer wieder Schmerzimpulsen ausgesetzt. Dadurch sind die Nervenbahnen ständig gereizt und verändern ihre Struktur und ihren Stoffwechsel. Die Folge: Es bilden sich vermehrt Rezeptoren aus, die schon bei schwachen oder sogar ohne Reize Schmerzsignale an das Gehirn weiterleiten. Es kommt zu einer übermäßigen Schmerzwahrnehmung – fachsprachlich Hyperalgesie genannt. Die Schmerzen „brennen“ sich in das Zentralnervensystem ein, das sogenannte Schmerzgedächtnis entsteht, denn: Unser Gehirn merkt sich eben nicht nur Erlebnisse, Zahlen und Gesichter, sondern auch Schmerzreize. Eigentlich hat jeder Mensch eine körpereigene Schmerzkontrolle. Bei chronischen Schmerzen jedoch schafft diese es nicht mehr, die Schmerzen zu dämpfen und zu steuern. Das Schmerzgedächtnis mit Medikamenten wieder zu löschen, ist bislang noch nicht möglich.

Ständig Kopfschmerzen – welche Arten gibt es?


Weltweit leiden drei bis fünf Prozent der Bevölkerung unter chronischen Kopfschmerzen.1

Chronische Kopfschmerzen können dabei in verschiedene Formen unterteilt werden:

  • chronischer Kopfschmerz vom Spannungstyp: Spannungskopfschmerz ist die häufigste Form von Kopfschmerzen. Auslöser und verstärkende Faktoren können Stress und psychosomatische Ursachen sowie Muskelverspannungen sein. Beim chronischen Verlauf kann sich Übelkeit sowie Licht- und Lärmempfindlichkeit zu den Kopfschmerzen gesellen.
  • chronische Migräne: Unter Migräne sind Kopfschmerzattacken zu verstehen, die sich durch Bewegung verstärken und von Übelkeit, Erbrechen und neurologischen Störungen begleitet sein können.
  • anhaltender, streng einseitiger Dauerkopfschmerz (Hemicrania continua): Ähnlich dem Clusterkopfschmerz, der durch schwerste einseitige Schmerzattacken im Bereich der Augen, Stirn und Schläfen gekennzeichnet ist, treten Begleitsymptome wie Augentränen, Nasenlaufen und Bindehautrötung auf der betroffenen Seite auf.
  • neu aufgetretener täglicher Kopfschmerz: Ein täglicher Kopfschmerz, der bei bisher kopfschmerzfreien Patienten plötzlich auftritt und sehr schnell nach dem ersten Auftreten – spätestens nach drei Tagen – chronisch wird.

Vor allem dauerhafte Kopfschmerzen beeinträchtigen die Lebensgestaltung der Betroffenen massiv. Durch die Schmerzen werden sie oft ungewollt in soziale Isolation geführt. Aus dieser Isolation heraus neigen die Kopfschmerzpatienten dann zu Depressionen und einer weiteren Verschlimmerung der Beschwerden.

Wann gelten Kopfschmerzen als chronisch?

  • Migräne: an mehr als 15 Tagen im Monat und über mehr als 3 Monate hinweg
  • Spannungskopfschmerz: tritt seit mindestens sechs Monaten an mehr als 15 Tagen pro Monat auf
  • Clusterkopfschmerzen: schmerzfreie Intervalle sind über mindestens ein Jahr gesehen kürzer als 14 Tage

Ständig Kopfschmerzen – die Ursachen


Jeden Tag Kopfschmerzen – wie kann das sein? Die Auslöser für chronische Kopfschmerzen sind vielfältig. Für chronischen Spannungskopfschmerz können starke psychische Belastungen, Veränderungen an der Halswirbelsäule oder verkürzte Reflexantworten die Ursache sein.

Reflexantworten – was ist damit gemeint?

Ein Beispiel, an dem sich dieser Begriff gut erklären lässt: Normalerweise ist es so, dass das Gehirn sehr schnell den Kaumuskel hemmt, wenn wir uns auf die Lippe oder Zunge gebissen haben, um Verletzungen zu verhindern. Mediziner sprechen bei diesem Reflex von „exterozeptiver Suppression“. Wie schnell die Reflexe sind, können Wissenschaftler in neurologischen Laboren messen. Bei Patienten mit chronischem Kopfschmerz vom Spannungstyp sind die Reflexantworten verkürzt oder sogar ausgefallen, was ein Hinweis darauf ist, dass eine gestörte Funktion des körpereigenen Schmerzabwehrsystems vorliegt. In unserem Beispiel „auf die Lippe oder Zunge beißen“ würde ein Fehlen der Hemmung der motorischen Aktivität der Kaumuskulatur oder die verkürzten Reflexantworten dazu führen, dass sich Menschen länger auf die Zunge beißen würden, bis sie den Schmerz tatsächlich wahrnehmen.

Für chronische Migräne gibt es verschiedenste Auslöser, sogenannte Trigger. Dabei handelt es sich um Faktoren, die von außen das Geschehen anstoßen. Das können sein:

  • Veränderungen des Tagesrhythmus,
  • Hormonschwankungen,
  • Überanstrengung und
  • starke Gefühlsempfindungen wie Stress und Anspannung.

Eine chronische Migräne entwickelt sich meist aus einer episodischen, das heißt einer vorübergehenden, Migräne heraus. Im Gegensatz dazu steht Hemicrania continua, der anhaltende, streng einseitige Dauerkopfschmerz: Etwa die Hälfte der Betroffenen leidet von Anfang an unter einem chronischen Verlauf.2 Die Ursachen sind noch immer unbekannt. Auch beim neu aufgetretenen täglichen Kopfschmerz sind die Ursachen unklar, wobei sie gehäuft nach einem grippalen Infekt aufzutreten scheinen.

Immer Kopfschmerzen – frühzeitige Diagnostik entscheidend


Entwickeln sich die Symptome bei Kopfschmerzen zu einem dauerhaften Problem, muss gehandelt werden, denn: Kopfschmerzen entwickeln schnell eine Eigendynamik. Der Schmerz verselbstständigt sich, ein Schmerzgedächtnis wird gebildet. Aus einst gelegentlich auftretenden Kopfschmerzen durch Nackenschmerzen oder Muskelverspannungen heraus kann sich eine ernsthafte chronische Schmerzentwicklung entwickeln. Eine frühzeitige umfangreiche Diagnostik ist hier also unbedingt notwendig. Ansprechpartner für ständige Kopfschmerzen ist erst einmal der Hausarzt. Bei einer erweiterten Diagnostik kann dann auch ein Neurologe hinzugezogen werden.

Was tun gegen chronischen Kopfschmerz?


Ist der Kopfschmerz chronisch geworden, sollten keine üblichen Schmerzmittel mehr zum Einsatz kommen, denn auf Dauer können diese das Leiden sogar verschlimmern. Ärzte raten dringend davon ab, sich selbst permanent mit Medikamenten zu therapieren, denn: Medikamente können bei Dauergebrauch oder Missbrauch ihrerseits wieder Kopfschmerzen hervorrufen (medikamenteninduzierter Kopfschmerz). Stattdessen setzen Ärzte bei Patienten mit chronischen Kopfschmerzen häufig Mittel ein, mit denen auch Depressionen behandelt werden, wie zum Beispiel Amitriptylin, Doxepin, Imipramin, Nortriptylin und Desipramin.

Chronische Schmerzpatienten können aber auch einige Maßnahmen zur Vorbeugung ergreifen:

  • Vermeiden Sie industriell hochverarbeitete Lebensmittel, die den Organismus belasten und chronische Schmerzen verstärken können. Hochverarbeitete Lebensmittel sind meist reich an einfachen Zuckern, Fett, Emulgatoren und Stabilisatoren. Essen Sie stattdessen lieber viele naturbelassene Lebensmittel.
  • Finden Sie eine Sportart, die Ihnen Freude bereitet, die sanft ist und einen leichten Einstieg ermöglicht, zum Beispiel Laufen, Schwimmen oder Radfahren. Beginnen Sie langsam, überfordern Sie sich nicht und informieren Sie, wenn Sie in einem Kurs trainieren wie beim Yoga oder Tai Chi, Ihren Kursleiter, dass Sie unter chronischen Kopfschmerzen leiden.
  • Darüber hinaus helfen Entspannungsmethoden, abzuschalten und Stress entgegenzuwirken sowie ständigen Kopfschmerzen vorzubeugen. Empfohlen ist hier zum Beispiel die Muskelrelaxation nach Jacobson. Mit dieser Methode lernen die Kopfschmerzpatienten, wie sie bestimmte Muskelgruppen bewusst an- aber auch wieder entspannen können. Es gibt Kurse unter fachkundiger Leitung sowie Bücher, CDs und Apps zum Selberlernen. Sanfte Massagen von Gesicht, Kopfhaut und der Nacken- und Schultermuskulatur sind ebenso wirkungsvoll.

Zusammengefasst ist eine Kombination aus gesunder Ernährung, Bewegung und Entspannungsmethoden bei dauerhaften Kopfschmerzen sinnvoll.

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Julia Lindert Die Ressortjournalistin Julia Lindert spezialisierte sich während ihres Studiums auf die Themenfelder Medizin und Biowissenschaften. Medizinische Sachverhalte in verständlicher Sprache zu formulieren, ist das, was sie an ihrer Arbeit besonders mag. Ihr Credo in Bezug auf Krankheitsbilder und Therapiemöglichkeiten: Nichts beschönigen, aber auch keine unnötigen Ängste schüren. Julia Lindert Medizinredakteurin kanyo® mehr erfahren
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